Dokumentation Tauschring-Treffen mit SOLIWEDDING

Das Treffen fand statt am Dienstag, 8. November 2016, 17 bis 19 Uhr. Der angekündigte Ort – Menschen helfen Menschen e. V. – war überraschend geschlossen, wir sind in das gegenüberliegende Friedhofslokal gegangen.

logo soliweddingEva Krzeminski-Kuzminski und Karin Baumert stellten ihr Projekt SOLIWEDDING und erste Projektergebnisse vor. Sie sind jetzt im zweiten Jahr damit beschäftigt, für die puk a malta gGmbH  einen Atlas der solidarischen Ökonomie auszuarbeiten. Dieser Atlas – der sich zunächst auf den Ortsteil Wedding konzentriert – wird demnächst auch im Internet unter www.soliwedding.de zu sehen sein.

Eva und Karin haben unter anderem an einem Kongress der solidarischen Ökonomie teilgenommen, an der Wandelwoche Berlin/ Brandenburg 2016  und an einem Kultursymposium Teilen & Tauschen in Weimar.

Eine Definition von solidarischer Ökonomie ist schwierig. Grundlegend ist, dass niemand Profit aus den Aktivitäten zieht.

Als vorbildliches Beispiel wird das Mietshäuser-Syndikat genannt, bei dem Immobilien gezielt dem Kapitalmarkt entzogen werden – durch Eigenkapital, Selbsthilfe und durch verschiedene Formen der Solidarität, insbesondere auch Solidarität zwischen etablierten und neuen Hausprojekten. Tatsächlich betreibt das Mietshäuser-Syndikat ein Grundstück in unserem Kiez:

Das Kolonistenhäuschen - hier vom Garten vollkommen verdeckt - ist das ältereste Haus im Wedding.

Das Kolonistenhäuschen – hier vom Garten weitgehend verdeckt – ist das älteste Haus im Wedding. Die Aufnahme ist schon etwas älter, konkret aus 2008.

Das Kolonistenhäuschen und Nebengebäude in der Koloniestraße 57 werden seit 2010 durch die PinkePanke GmbH als Mitglied des Mietshäuser-Syndikates betrieben.

Ein anderes Beispiel für solidarische Ökonomie im Wedding ist CSA – community supported agriculture. Im deutschen Sprachraum ist eher von „solidarischer Landwirtschaft“ die Rede. Hier  können Endverbraucher ihren Ernteanteil an entsprechenden Höfen vorfinanzieren, das bedeutet eine andere (neue) Form der Solidarität mit entsprechenden Bauernhöfen. CSA gibt dem Betrieb finanzielle Sicherheit – zum Beispiel auch für Ernteausfälle. 12 bis 20 Personen organisieren sich in einer „Abholstation“ in der Stadt und fahren (in der Regel) an 3 Tagen im Jahr aufs Land um bei der Feldarbeit zu helfen. Das System hat große Vorteile für beide Seiten, neben preiswertem Biogemüse bekommt der Endverbraucher insbesondere auch eine (solidarische) Beziehung zum Erzeuger. Die Biokräuterei Oberhavel http://biokraeuterei.de/ hat im Wedding mehrere Abholstationen, bei genauerer Betrachtung befinden sich zwei davon im Ortsteil Gesundbrunnen: Baumhaus, Café Miss Ploff, Grüntaler Straße, Malplaquetstr., Nauener Platz
kohlrabi_vegetables_violetDie http://www.sterngartenodyssee.de (eine andere CSA-Genossenschaft) hat in Wedding/ Gesundbrunnen zwei Abholstationen, konkret im Cafe Spinner und Weber, Brüsseler Straße 37 und im Castle Pub, Hochstraße 2.

Eva und Karin sehen solidarische Ökonomie in politischem Kontext:

  • Solidarische Ökonomie erfordert bestimmte Kompetenzen und
  • ein Mindestmaß an Vorstellungsvermögen und Reflexion.
  • Die Mitwirkung an Solidarischer Ökonomie ist nicht niedrigschwellig.

Wir sprachen über die http://www.berliner-tafel.de und andere Ausgabestellen von Lebensmitteln. Die Weitergabe von Lebensmitteln erfordert in der Regel einen amtlichen Nachweis der Armut, beispielsweise einen Hartz-IV-Bescheid. Bedeutet die Nutzung einer Tafel die Stigmatisierung als „arm“? Kann und sollte man die Tafeln auch für Mittelschichten öffnen und damit diese Stigmatisierung aufheben?
Aus dem, was „übrig“ bleibt, werden andere bedient, die Verteiler arbeiten ehrenamtlich, diese Rollen sind festgeschrieben. Wie kann man die Nutznießer zu selbstbestimmtem Handeln aktivieren?

Eva und Karin nehmen gerne Anregungen entgegen, welche Projekte in den Atlas der solidarischen Ökonomie aufgenommen werden sollen.

Wir hatten einen Exkurs in Richtung der Commons-Bewegung und merkten im Gespräch, dass diese Bewegung schon von den Begrifflichkeiten her noch nicht so recht beim „Allgemeinwissen“ angekommen ist. Das liegt vielleicht auch an den entsprechenden Englisch-Vokabeln:

common sense: gesunder Menschenverstand
common: gemeinschaftlich bzw. Gemeingut (auch andere Übersetzungen in anderem Zusammenhang)

Recht bekannt ist „Creative Commons“, das sind Lizenzen insbesondere zur Nutzung kreativer Werke. Creative Commons werden beispielsweise eingesetzt, um geeignete Bedingungen für die kostenlose Nutzung von Bildern festzuschreiben. Das betrifft häufig die Einschränkung, dass das Werk kostenlos benutzt, aber nicht kommerziell weitergegeben werden darf. Es handelt sich um eine gemeinnützige Organisation, die diese Art Linzenzverträge ausgearbeitet hat und zur Verfügung stellt.

Commons ist vielleicht auch deshalb schwierig zu übersetzen, weil neben dem Wort auch die entsprechende Gemeinschaftskultur sich zunächst im englischen Sprachraum verbreitet hat.

Auf der Website der Heinrich-Böll-Stiftung findet sich als Erläuterung

„Commons, Allmende, Gemeingüter
Immer mehr Menschen bringen den Begriff der Commons auf der Suche nach Alternativen zu unserem Wirtschaftsmodell in die gesellschaftliche Diskussion und in die politische Auseinandersetzung ein. Eine „Ökonomie des Gemeinsamen“, in der das Gedeihen der geteilten Ressource im Vordergrund steht und gemeinsam in einem Prozess des Commoning bewirtschaftet wird, erscheint greifbar.“

Eva und Karin denken darüber nach, die Geschichte des Wedding unter dem Aspekt von genossenschaftlichem Wohnen und anderen, älteren Formen gemeinschaftlicher Güter zu erarbeiten.

Eva hat uns von ihrer Kindheit und Jugend in Polen erzählt. Sie ist mit solidarischer Ökonomie aufgewachsen und hat vor diesem Hintergrund ein ganz eigenes Bild, wie so etwas funktioniert und tatsächlich auch wirtschaftlich funktioniert.
Während in den Geschäften nur Essig und Streichhölzer angeboten wurden, hatte trotzdem jeder Essen und Trinken. Das alltägliche Tauschen erfolgte ohne genaues Aufrechnen, zum Beispiel Zucker gegen Wodka und anschließend der Wodka gegen Kraftstoff. Eva entwickelte Expertise in der Zubereitung von Heringen, irgendwann hatte sie 10 5-kg-Eimer Heringe auf dem Balkon. Eva sagt „Ökonomie ist Rechnen“. In Polen (in ihrem Umfeld) wurde aber nicht (so genau) gerechnet, „solidarisch“ ist freundlich und ohne Zwang.

Solidarität in (Groß-)Familien war früher etwas Selbstverständliches. In unserer modernen Gesellschaft bevorzugen ach so viele ein individuelles, unabhängiges Leben. Das Jobcenter besteht aber im Zweifelsfall auf der „Solidarität“ der „Bedarfsgemeinschaft“ und kürzt einem Hartz-IV-Empfänger entsprechend die Leistungen.

Eva führt weiter aus über die „solidarische Ökonomie“:

  • Im früheren Polen geschah es aus der Not heraus, hat sich aber „lustig“ und normal entwickelt,
  • solidarische Ökonomie entwickelt sich heute als ein Trend aus Werten und einem Bewusstsein heraus – es geht beispielsweise um Lebensmittel in besserer Qualität,
  • wenn in einem Tauschring genau mit Pluspunkten/ Minuspunkten gerechnet wird, ist das nicht wirklich „solidarisch“.

Eva und Karin möchten Reflexionen zu solidarischer Ökonomie in Wedding und Gesundbrunnen gerne weiter anschieben.

Es war ein kleine Runde und ein hochspannendes Gespräch, das wir an anderer Stelle sinnvoll fortsetzen sollten.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.